Gastbeitrag: Wollt ihr ewig leben? Der Traum, biologische Grenzen zu überwinden

Gastbeitrag: Impuls von Eva Kuhn zum Evangelischen Kirchentag

Wollt ihr ewig leben? Eine Frage, vier Worte – die auf den ersten Blick alle klar, verständlich sind; und doch nicht zueinander passen. Nicht: Wollt ihr gesund altern? Auch nicht: Wollt ihr lange leben? Sondern: Wollt ihr ewig leben?

Zum Auftakt dieses Podiums, das Teil des Thementags Gesundheit ist, möchte ich mit euch gemeinsam verschiedene Blickrichtungen einnehmen, mit euch gemeinsam ins Denken und Nachdenken kommen. Und ich will gleich mit dem dicksten Brett beginnen, das wir hiergemeinsam zu bohren haben: ewig. Ewigkeit.

Eigentlich sind wir alle, als Christ*innen, Expert*innen für dieses Wort. Laut ChatGPT kommt in einem evangelisch-lutherischen Gottesdienst das Wort ‚ewig‘ rund 4x vor. In einer römisch-katholischen Werktagsmesse sind es durchschnittlich 8x. Mit jedem Vaterunser, das wir beten, kommt uns das Wort über die Lippen.

„Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“

Wenn im Alten Testament von ‚Ewigkeit‘ die Rede ist, ist diese auf G*ttes Sein bezogen: G*tt ist ewig und seit Ewigkeit. Zu dieser in die Vergangenheit gerichteten Perspektive tritt mit dem Buch der Psalmen zum anderen auch eine Zukunftsgerichtetheit:

„Der HERR wird dich behüten vor allem Unheil, er wird dein Leben behüten. Der HERR wird deinen Ausgang und deinen Eingang behüten von nun an bis in Ewigkeit.“ (Psalm 121,7-8)1

G*tt existiert jenseits der Zeit, überzeitlich, ohne Anfang und ohne Ende. Er ist immer gegenwärtig. Die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft sind für ihn dasselbe, sind für ihn eins. G*tt ist also außerhalb unseres Denkens in früher und später, vorher und nachher. Diese Ewigkeit G*ttes ist ein Ausdruck der Transzendenz G*ttes. ‚Transzendenz‘ heißt, dass etwas über das hinausgeht, was wir hören, sehen, greifen und be-greifen können. Wenn wir also sagen, dass G*tt transzendent ist, meint das, dass er über der Welt und allem Geschaffenen steht. Er ist gerade *nicht* Teil der Welt, sondern für uns unbegreiflich – unendlich mehr und größer als alles, was wir erfahren, was wir denken, was wir in Worte fassen, was wir erkennen können.

Ewigkeit und Transzendenz sagen uns: G*tt ist anders als alles, was geschaffen ist. Wir können G*tt nicht erkennen; er aber kann sich offenbaren und hat sich offenbart in Jesus Christus als G*tt in der Welt. Ende des theologischen Exkurses und zurück zu unserem Kernthema: Ewigkeit bzw. genauer ‚ewiges Leben‘. Wir haben bislang den Blick auf G*ttes Ewigkeit gerichtet. Was aber ist mit uns, den Menschen?

Das Buch Jesus Sirach, eine Spätschrift des Alten Testaments, nähert sich dieser Frage über einen Vergleich: „Die Zahl der Tage eines Menschen beträgt höchstens hundert Jahre, aber unberechenbar ist für einen jeden der Schlaf. Wie ein Wassertropfen aus dem Meer und wie ein Sandkorn, so gleichen wenige Jahre einem Tag der Ewigkeit.“ (Jesus Sirach 18,9-10)2

Ein Menschenleben von 100 Jahren gleicht einem Tag der Ewigkeit. Dass wir Anteil haben an dieser Ewigkeit prägt sich insbesondere vor dem Hintergrund der Erfahrungen von Verfolgung und Exil der Jüdinnen und Juden ab 200 v. Chr. aus. Eine der frühesten, klaren Aussagen des Alten Testament findet sich im Buch Daniel:

„Und viele von denen, die im Land des Staubes schlafen, werden aufwachen; die einen zu ewigem Leben und die anderen zur Schande, zu ewigem Abscheu.“ (Daniel 12,2)

Der Glaube an ein ewiges Leben, an ein Leben nach dem Tod für die Frommen und für die Gerechten, zusammengenommen mit der Vorstellung eines Jüngsten Gerichts und der jenseitigen, ewigen Vergeltung für gute wie böse Taten des und der Einzelnen kristallisiert sich also in Auseinandersetzung mit konkret erfahrenem Leid und Ungerechtigkeit heraus. Dies markiert geschichtlich den Beginn der individuellen Ewigkeitshoffnung. Und dies wird weitergeführt im Neuen Testament. Der Gedanke der ‚Ewigkeit‘ wird im Neuen Testament auf Jesus Christus übertragen. Ewigkeit‘ wird zu einem Kontrastbegriff für die geschaffene, durch einen Anfang und ein Ende begrenzten Weltzeit. Anders als im Alten Testament wird Ewigkeit nun also zur Weltzeit in Beziehung gesetzt. Jetzt-Zeit wird von End-Zeit unterschieden. Der Gedanke des ‚ewigen Lebens‘ zeichnet sich durch verschiedene Charakteristika aus:

– Es ist ein von G*tt gegebenes, geschenktes Leben. Unzerstörbar. Ein Leben, das wir uns nicht verdienen müssen, nicht verdienen können, sondern G*ttes Gnadengabe ist.

– Zugang und Weg zum ewigen Leben ist Jesus Christus als der, der das ewige Leben verkörpert.

– Das ‚ewige Leben‘ beginnt bereits jetzt, hier und heute, durch unseren Glauben – und nicht erst nach dem Tod. Und doch, so Wolfhart Pannenberg, ist die Zeit des Menschen als Geschöpf G*ttes eine „Gestalt begrenzter Teilhabe an der göttlichen Ewigkeit“3. Wir haben bereits jetzt Anteil an der Ewigkeit Gottes, können diese schon jetzt erfahren; die Ewigkeit, unsere Ewigkeit wird aber erst in der Zukunft vollendet.

– Wie können wir Ewigkeit bereits jetzt erfahren? Im Sakrament der Taufe und der Eucharistie, im Wort des Evangeliums und überall dort, wo wir Gemeinschaft – Gemeinschaft mit G*tt – erleben. Mit anderen Worten: Ewigkeit und das ‚ewige Leben‘ beschreibt eine Beziehungswirklichkeit, nämlich das Leben mit, in und durchG*tt. Theologisch gesehen unterscheidet sich das ewige Leben also vom irdischen, vom vergänglichen Leben. Das ewige Leben ist nicht einfach eine Fortsetzung des irdischen Lebens nach dem Tod. Es ist gerade *kein* Aspekt unserer menschlichen Natur. Und es setzt, wie der 1. Brief des Johannes betont, den Glauben voraus: „Wer an den Sohn Gottes glaubt, hat das Zeugnis in sich; wer Gott nicht glaubt, hat ihn zum Lügner gemacht, weil er nicht an das Zeugnis geglaubt hat, das Gott über seinen Sohn bezeugt hat. Und dies ist das Zeugnis: dass Gott uns ewiges Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in seinem Sohn. Wer den Sohn hat, hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, hat das Leben nicht. Dies habe ich euch geschrieben, damit ihr wisst, dass ihr ewiges Leben habt, die ihr an den Namen des Sohnes Gottes glaubt.“ (1. Johannes 5,10-13)

Wenn wir uns hier also mit der Frage auseinandersetzen, „Wollt ihr ewig leben?“, dann könnten wir, geprägt durch unseren christlichen Glauben, antworten: „Das tun wir doch schon.“ Und hier kommt der Untertitel ins Spiel: Der Traum, biologische Grenzen zu überwinden. Biologische Grenzen sind natürliche Grenzen unseres Lebens, die uns durch die Struktur und Funktion unseres Organismus vorgegeben sind. Es handelt sich um

– genetische Grenzen: Der Mensch hat keine Gene, um Flügel auszubilden. Genetisch ist unsere maximale Lebensdauer auf etwa 120 Jahre festgeschrieben.

– physiologische Grenzen: Wir brauchen ein gewisses Maß an Sauerstoff, um zu überleben. Unsere Körpertemperatur darf nicht zu hoch und auch nicht zu niedrig sein.

– ökologische Grenzen: Wir können nur wenige Tage ohne Wasser überleben und brauchen – v.a. in Regionen mit extremer Trockenheit – eine künstliche Wasserversorgung.

– kognitive Grenzen: Wir können uns nicht vorstellen, nicht fühlen und auch nicht erleben, was Unendlichkeit oder Ewigkeit bedeutet. Wir denken zwar, dass wir gleichzeitig Autofahren und eine Textnachricht schreiben können – doch die Reaktionsfähigkeit verschlechtert sich massiv; die Unfallgefahr steigt. Eine Strömung, die das Ziel hat, diese biologischen Grenzen zu überwinden und den Menschen mithilfe von Technik zu transformieren, ist der sogenannte „Transhumanismus“.

„Der TH [d.h Transhumanismus; Anm. EK] ist eine philosophisch-technologische Bewegung des 20. und 21. Jahrhunderts, die mittels neuer Technologien den Menschen grundlegend transformieren möchte. Der Mensch steht im Zentrum der transhumanistischen Agenda. Das menschliche Potenzial sei noch nicht vollständig realisiert und solle durch Technologien entfaltet werden. Dazu solle der Mensch selbstbestimmt und frei in seinen Körper eingreifen können.“4 „Leiden, Altern und Tod werden im TH als verwerfliche und unnötige Übel angesehen, als Krankheiten, die überwunden werden müssen. Angestrebt wird eine radikale Lebensverlängerung von mehreren Hundert Jahren, von vielen Vertreter*innen sogar die Unsterblichkeit. Verlängert werden soll dabei nicht die bloße Lebensspanne, sondern die Gesundheitsspanne. Solange Unsterblichkeit technologisch noch nicht realisiert werden kann, dient die Kryonik als Übergangslösung. Hierbei werden der ganze Körper oder einzelne Körperteile kurz nach Todeseintritt bei -196°C in flüssigem Stickstoff eingefroren. Sie sollen in der Zukunft, wenn die Entwicklung der Technologien so weit fortgeschritten sein wird, dass Unsterblichkeit ermöglicht werden kann, wiederbelebt werden. James Bedford war 1967 der erste Mensch, der sich kryokonservieren lassen hat. Bis Ende Januar 2021waren bei der großen Kryonik-Organisation »Alor Life Extension Foundation« 1338 Mitglieder registriert, 181 Personen sind bereits kryokonserviert worden. Bisher führt das Einfrieren zu großenSchäden des Gehirns, der Zellen und des Gewebes, wodurch eine Wiederbelebung bislang unmöglich ist.“5 Beispiele für transhumanistische Ansätze sind neben der Kryonik:

– Die Vision von Elon Musks Unternehmen Neuralink, nämlich u.a. Implantate, sog. Brain-Computer-Interfaces, mithilfe derer wir mental elektronische Geräte steuern können.

– Der Einsatz der sog. Genschere CRISPR-Cas9, um Muskelkraft oder Intelligenz zu steigern

– Molekulare Eingriffe, um Telomere (= Strukturelemente der DNA) zu verlängern und so die Zellalterung zu stoppen

– Der „Einbau“ von Sensoren für infrarotes Sehen oder GPS-Orientierung in unseren Körper

Zu diesen – sich bereits konkret in der Entwicklung befindlichen – Ansätzen kommen Ideen wie bspw. das Mind Uploading hinzu: Dabei soll das gesamte Bewusstsein eines Menschen (Gefühle, Erinnerungen, Gedanken, Persönlichkeit) digital gespeichert und auf einen Computer übertragen werden. In diesem Fall soll der Geist vom vergänglichen Körper getrennt werden. Es handelt sich also, wenn man so will, um eine Unterform des Transhumanismus, die ich nur der Vollständigkeit halber erwähne.

Wir können zusammenfassend festhalten: „Der TH lässt sich gut durch den ehemaligen Slogan der WTA [World Transhumanist Association; jüngst umbenannt in Humanity+; Anm. EK] »better than well« charakterisieren: Ziel des TH ist nicht das »be well« im Sinne von Gesundheit und Wohlergehen im Rahmen der heutigen Möglichkeiten, stattdessen wird ein »better than well« angestrebt, dass [sic!] die bisherigen Begrenzungen überschreitet.“6 Darüber hinaus betont der Transhumanismus, dass wir selbstbestimmt und frei in unseren Körper eingreifen dürfen sollen. Wir haben also die Freiheit, auf die Frage „Willst du ewig leben?“ mit Ja oder Nein zu antworten. Nur am Rande möchte ich die Frage aufwerfen, was wohl passieren wird, wenn nicht nur Einzelne, sondern ein nennenswerter Teil unsererMitmenschen entscheidet, sich zu perfektionieren, ewig auf Erden zu leben. Wenn wir zurückblicken auf unsere erste gemeinsame Annäherung an die Frage „Willst du ewig leben?“, die wir anhand biblischer Texte gemacht haben, können wir festhalten:

– Unser irdisches Leben wurde und wird immer weiter aufgewertet. Man bekommt den Eindruck, dass die Ewigkeit bspw. von der transhumanistischen Strömung säkularisiert und gänzlich auf Erden geholt wird.

– Und doch: Ein Glaube an das ewige Leben besteht fort. Allerdings in verschiedenen Ausprägungen: Da ist auf der einen Seite das christliche Verständnis des „schon und noch nicht“, der Transzendenz. Auf der anderen Seite steht der, nennen wir ihn einmal biologistische, technologistische Ansatz der Ewigkeit der Weltzeit.

– Spannend ist dabei, dass der in seinem Selbstverständnis ganz auf das Diesseits fokussierte Transhumanismus nicht ohne religiöse Semantik und Motive auskommt:

„Unsterblichkeit, ewiges Leben und Motive der Auferstehung, Transzendenz, Selbstüberschreitung, das Streben nach Vervollkommnung und paradiesische Vorstellungen, eschatologische und kosmologische Entwürfe, Heilsvorstellungen, die Beseitigung von Leid, Heilungen von (bislang unheilbaren) Krankheiten, die Möglichkeit eines entkörperlichten Daseins sowie die kognitive und moralische Verbesserung des Menschen.“7

Bewusst provokant würde ich sagen, dass das Christentum – bislang – konkretere Antwort darauf geben kann, was uns erwartet, wenn wir – im Glauben – ewig leben wollen, als es der Transhumanismus tut. Wir können uns – aufgrund unserer biologischen Grenzen – (noch) nicht vorstellen, wie ein ewiges Leben auf Erden aussehen kann. Die Theologie, als bisherige „Expertin“ für Ewigkeitsangelegenheiten, können wir nicht fragen; aber die sich langsam in diesem Feld etablierende neue Expertin: Künstliche Intelligenz. Ich lade euch ein, die Antwort der KI und das Gehörte in einem Moment der Stille auf euch wirken zu lassen.


Gastbeitrag: Impuls von Eva Kuhn Mag.theol., LL.M, Charité Berlin I Deutscher Evangelischer Kirchentag 2025 I Hannover

1 Wenn nicht anders angegeben, sind alle Bibelzitate der Elberfelder Bibel (Ausgabe 2006) entnommen.

2 Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift (2016).

3 Pannenberg, Wolfhart: Systematische Theologie Bd. III, 1993, S. 647.

4 Puzio, Anna: Über-Menschen. Philosophische Auseinandersetzung mit der Anthropologie des Transhumanismus, 2022, S. 57.

5 Puzio, Anna: Über-Menschen. Philosophische Auseinandersetzung mit der Anthropologie des Transhumanismus, 2022, S. 45

6 Puzio, Anna: Über-Menschen. Philosophische Auseinandersetzung mit der Anthropologie des Transhumanismus, 2022, S. 47.

7 Puzio, Anna: Über-Menschen. Philosophische Auseinandersetzung mit der Anthropologie des Transhumanismus, 2022, S. 53.

Foto: Eva Kuhn / Fotograf: Peter Fromm
Foto: Eva Kuhn / Fotograf: Peter Fromm

Anmerkung der Deutschen Longevity Gesellschaft

Die Schreibweise „G*tt“ im Beitrag wurde von der Gastautorin gewählt, um religiöse Sensibilitäten zu wahren. Diese Form wird insbesondere im jüdischen Kontext verwendet, um den Gottesnamen nicht vollständig auszuschreiben und so die besondere Ehrfurcht auszudrücken, die ihm entgegengebracht wird. Weitere Informationen zu diesem Brauch finden sich im Wikipedia Artikel G’tt